Die Arbeitswelt befindet sich in einem fundamentalen Wandel. Technologische Fortschritte, gesellschaftliche Veränderungen und neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen führen dazu, dass traditionelle Arbeitsnormen hinterfragt und durch neue Konzepte ersetzt werden. Doch mit dieser Transformation entstehen auch Paradoxien, die Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen vor Herausforderungen stellen. Das „WORK Panorama 2025“ von Raphael Gielgen identifiziert zentrale Entwicklungen und zeigt auf, wie Organisationen sich darauf einstellen können.
Normen als Grundpfeiler organisationaler Kultur
Normen sind zentrale Richtlinien, die das Verhalten in Organisationen prägen und die Art und Weise beeinflussen, wie Entscheidungen getroffen, Innovationen vorangetrieben und Zusammenarbeit gestaltet wird. Sie entstehen aus kollektiven Überzeugungen und setzen implizite oder explizite Standards für akzeptables Handeln. Im Kontext des „Geek Way“ von Andrew McAfee spielen insbesondere vier zentrale Normen eine Rolle: Wissenschaft, Eigenverantwortung, Geschwindigkeit und Offenheit. Diese „A-Normen“ fördern eine agile, experimentierfreudige und evidenzbasierte Unternehmenskultur. Im Gegensatz dazu stehen „B-Normen“ wie Hierarchie, Absicherung, Planbarkeit und Konsens, die oft mit traditionelleren, stärker reglementierten Organisationsstrukturen verbunden sind. Während B-Normen Risiken minimieren und Stabilität gewährleisten, ermöglichen A-Normen schnelle Lernprozesse, selbstbestimmtes Arbeiten und iterative Weiterentwicklung. Die Zukunft erfolgreicher Organisationen liegt in der bewussten Balance dieser Normen, um sowohl Effizienz als auch Innovationskraft zu maximieren.

Next Work Skills – Neue Fähigkeiten für eine dynamische Arbeitswelt
Die Digitalisierung und Automatisierung verändern nicht nur die Art der Arbeit, sondern auch die erforderlichen Kompetenzen. Technisches Know-how reicht längst nicht mehr aus – Soft Skills wie Kreativität, kritisches Denken und emotionale Intelligenz gewinnen an Bedeutung. Unternehmen stehen vor dem Paradoxon, dass sie einerseits Spezialwissen benötigen, andererseits aber auch generalistisch denkende Mitarbeitende fördern müssen, die sich schnell an neue Gegebenheiten anpassen können.

Beta Work – Permanentes Lernen statt abgeschlossener Qualifikationen
Während in der Vergangenheit eine abgeschlossene Ausbildung oder ein Studium als ausreichende Qualifikation für eine lange Karriere galt, ist Lernen heute ein kontinuierlicher Prozess. Arbeitskräfte müssen sich ständig weiterbilden und neue Fähigkeiten erwerben, um mit den rasanten Entwicklungen Schritt zu halten. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, eine Lernkultur zu etablieren, die lebenslanges Lernen fördert, ohne Mitarbeitende zu überfordern oder starre Weiterbildungsinitiativen aufzusetzen.
Dezentralisierung – Autonomie vs. Kontrolle
Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich aus der Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen. Klassische hierarchische Strukturen weichen immer häufiger agilen und selbstorganisierten Teams. Diese Entwicklung bringt viele Vorteile mit sich, erfordert aber auch ein neues Verständnis von Führung. Führungskräfte müssen lernen, Kontrolle abzugeben und gleichzeitig ein Umfeld zu schaffen, das Orientierung bietet und Verantwortungsbewusstsein fördert.
Human to Human – Technologie und Menschlichkeit im Einklang
Die zunehmende Digitalisierung erleichtert viele Arbeitsprozesse, birgt aber auch die Gefahr der Entmenschlichung. Unternehmen müssen einen Balanceakt zwischen Automatisierung und menschlicher Interaktion meistern. Während viele Routineaufgaben von Künstlicher Intelligenz übernommen werden, bleibt zwischenmenschliche Kommunikation essenziell für Innovation und Zusammenarbeit. Die Herausforderung liegt darin, Technologie als Unterstützung zu begreifen, ohne den menschlichen Faktor zu vernachlässigen.
Augmented Age – Mensch und KI als Team
Die Integration von Künstlicher Intelligenz in den Arbeitsalltag stellt eine weitere paradoxe Entwicklung dar: Einerseits eröffnet sie enorme Effizienzgewinne und neue Möglichkeiten, andererseits erfordert sie eine kritische Auseinandersetzung mit ethischen und sozialen Fragen. Mitarbeitende müssen lernen, mit KI-gestützten Systemen zusammenzuarbeiten und deren Potenziale zu nutzen, ohne dabei ihre eigene Entscheidungsfähigkeit und Kreativität einzuschränken.
Robot Natives – Die nächste Generation der Arbeitskräfte
Junge Talente wachsen in einer Welt auf, in der Automatisierung und Robotik selbstverständlich sind. Für sie sind digitale Assistenten, smarte Technologien und vernetzte Systeme keine Neuheit, sondern Alltag. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass diese Generation ganz andere Erwartungen an Arbeitsumgebungen und Führungskultur hat. Gleichzeitig besteht die Herausforderung, den Wissenstransfer zwischen erfahrenen Mitarbeitenden und der neuen Generation zu gewährleisten.
Shortage of Resources – Nachhaltigkeit als unternehmerische Notwendigkeit
Die Verknappung natürlicher Ressourcen zwingt Unternehmen dazu, nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln. Nachhaltigkeit ist längst kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Das Paradoxon liegt darin, dass kurzfristige Effizienzsteigerungen oft im Widerspruch zu langfristiger ökologischer Verantwortung stehen. Organisationen müssen Wege finden, wirtschaftlichen Erfolg mit nachhaltigem Handeln in Einklang zu bringen.

Normen gezielt verändern
Die neue Arbeitswelt ist geprägt von Widersprüchen und Herausforderungen, die keine einfachen Lösungen zulassen. Unternehmen und Beschäftigte müssen lernen, mit diesen Paradoxien umzugehen, sie zu verstehen und als Chance zu begreifen. Normen ändern sich nicht von heute auf morgen – sie müssen bewusst geformt und durch systematische Veränderungen in Führung, Strukturen und Kultur verankert werden. Veränderung beginnt mit einem überzeugenden Warum. Führungskräfte müssen transparent kommunizieren, warum bestehende Normen angepasst werden müssen und welche Vorteile neue Verhaltensweisen bringen. Menschen verändern sich nicht isoliert – sondern durch soziale Dynamiken. Wenn Teams gemeinsam neue Normen leben, entsteht eine Selbstverstärkung.
Nudging & Habit Formation: Kleine Schritte statt große Umbrüche
Kleine, gezielte „Schubser“ (Nudging) verändern Verhalten effektiver als radikale Umstellungen (Thaler & Sunstein, 2008). Einfache Maßnahmen wie regelmäßige Reflexionsfragen in Meetings, kleine Challenges oder Reminder für gewünschte Verhaltensweisen helfen, neue Normen schrittweise zu verankern.
Entscheidungsprozesse von Konsens auf Schnelligkeit umstellen
In vielen Organisationen werden Entscheidungen durch langwierige Abstimmungen blockiert.
Nötige strukturelle Anpassungen:
„Disagree & Commit“-Prinzip einführen: Teams dürfen widersprechen, müssen aber eine getroffene Entscheidung mittragen
Verantwortung für Entscheidungen klar zuordnen
Schnelle Pilotprojekte statt endloser Abstimmungen
Kontinuierliches Feedback & Iteration: Veränderung als Lernprozess verstehen
Normenveränderung ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Regelmäßige Feedbackschleifen (z. B. Retrospektiven, Mitarbeiterbefragungen) helfen, die Transformation anzupassen und weiterzuentwickeln. Wer eine Kultur des Experimentierens und Lernens will, muss starre Prozesse aufbrechen.
Nötige strukturelle Anpassungen:
Einführung von agilen Methoden (Scrum, Kanban)
Schnelle Feedbackzyklen statt Jahresgespräche
MVP-Ansatz für Innovationen (Minimum Viable Products testen, statt monatelang zu planen)
Veränderung als bewusster, iterativer Prozess
Normenveränderung gelingt nicht durch bloße Ankündigungen, sondern durch ein Zusammenspiel aus Vorleben, strukturellen Anpassungen, psychologischer Sicherheit und kontinuierlicher Reflexion. Wer Verhaltensänderung als Lernreise gestaltet, schafft eine dynamische, zukunftsfähige Organisation. Von Hierarchie zu Empowerment, wenn Eigenverantwortung eine neue Norm werden soll, dürfen Entscheidungen nicht mehr nur von wenigen Führungskräften getroffen werden.
Nötige strukturelle Anpassungen :
Flachere Hierarchien → Entscheidungen dezentralisieren
Selbstorganisierte Teams mit Entscheidungsfreiheit
Agile Leadership → Führung als Coach statt als Kontrollinstanz
Veränderungen in der Organisationsdesigns und -kultur notwendig sind, um auf dynamische Umweltbedingungen zu reagieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Tom Burns identifizierte zwei Idealtypen von Unternehmen: den mechanistischen Typ, der in stabilen Umgebungen operiert, und den organismischen Typ, der sich durch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in instabilen Umfeldern auszeichnet. Burns stellte fest, dass mechanistische Unternehmen Schwierigkeiten haben, sich bewusst in Richtung eines organismischen Modells zu verändern, was auf die tief verwurzelten Strukturen und Prozesse zurückzuführen ist. Dieser Anpassungsprozess, bekannt als Isomorphie, kann durch Zwang, Nachahmung oder normativen Druck oder als partizipativer Prozess erfolgen.